Vergewaltigung im Kurpark

Frauennotruf Wetterau

Wetterauer Zeitung, 21.03.2018 von Christoph Agel

Nach Vergewaltigung: »Eine Frau ist nirgendwo sicher«
Die Vergewaltigung am Sonntagmorgen im Bad Nauheimer Kurpark wirft die Frage auf, ob sich eine Frau sicher fühlen kann, wenn selbst mitten in der Stadt so etwas passiert.

Im vergangenen Jahr haben sich 283 Frauen vom Frauennotruf Wetterau beraten lassen. Die Einrichtung kümmert sich um Frauen, denen Gewalt widerfahren ist. Schwerpunkte sind häusliche Gewalt und Vergewaltigung außerhalb der Partnerschaft. (Symbolfoto: dpa)

Eine Frau ist nirgendwo sicher, das ist leider so. Es kann überall passieren. Aber es passiert mehr in den Räumen, wo Frauen denken, dass sie sicherer sind«, sagt Christa Mansky vom Frauennotruf Wetterau. Ob die Frau, die am Sonntagmorgen um 5.15 Uhr durch den Bad Nauheimer Kurpark ging, gedacht hat, dass sie sicher wäre, ist reine Spekulation. Sie war nicht sicher. Ein Mann überfiel sie von hinten, bedrohte die 59-Jährige, vergewaltigte sie.

»Das, was da passiert ist, trifft die Urängste aller Frauen«, sagt Christa Mansky. Im Dunklen und draußen alleine unterwegs gewesen und überfallen worden. Real betrachtet, sei das aber nicht die typische Situation: »Die eigene Wohnung ist gefährlicher als draußen«, das werde beispielsweise in Selbstverteidigungskursen für Frauen vermittelt.

Der Mythos vom Minirock
Und es sei tatsächlich so: Zu Hause oder in der Wohnung des späteren Täters sei das Risiko höher. Solche Taten geschähen also eher im privaten als im öffentlichen Raum, stellt Mansky klar und verweist auf eine statistische Auswertung aus den vergangenen zwei Jahren aus dem Hochwaldkrankenhaus.

Der Gegensatz von der Unsicherheit da draußen und der Sicherheit hier drinnen scheint also ein Mythos zu sein. Gleiches gilt laut Mansky auch für das Alter der Opfer: »Es ist der Mythos, dass es im wesentlichen junge Frauen trifft,. die Attraktiven, die mit dem Minirock.« Die Realität sei eine andere: »Es sind die Frauen, die ›am leichtesten zu kriegen sind‹.« Sprich Frauen, die alkoholisiert sind, unter Drogen stehen, auch ältere Frauen, die sich nicht mehr wehren können – und eine ganz hohe Rate von Frauen mit Behinderungen. Oft kämen auch K.-o.-Tropfen zum, Einsatz. Nicht unbedingt nur in einer Disco, sondern auch in der Kneipe oder im privaten Rahmen. Seit Jahren ist der Frauennotruf mit einer Kampagne zu diesem Thema in Schulen und bei Vereinen unterwegs, warnt vor den Gefahren. »K.-o.-Tropfen sind im Wetteraukreis massiv unterwegs«, sagt Mansky.

Im vergangenen Jahr haben sich insgesamt 283 Frauen vom Frauennotruf Wetterau beraten lassen – teils telefonisch, teils persönlich. Die Einrichtung kümmere sich zum, Beispiel um Themen wie sexuelle Nötigung, Stalking, Ehrenmord – »eigentlich die ganze Palette von Gewalt gegen Frauen«, sagt Mansky. Schwerpunkte seien häusliche Gewalt in Form von Körperverletzung, Vergewaltigung und psychischer Gewalt –, außerdem Vergewaltigung außerhalb der Partnerschaft. Die Zahl der Frauen, die sich nach einer Vergewaltigung beim Frauennotruf Wetterau wegen einer Beratung melde, steige. Durch die medizinische Soforthilfe haben Frauen nach einer Vergewaltigung ganz andere Möglichkeiten als früher, sagt Mansky.

Schreien als Chance
Neben der Beratung und einer Untersuchung hat Mansky auch einen Rat für Frauen, wie sie in der Situation der Vergewaltigung selbst reagieren sollten: Wenn Frauen in der Lage seien, zu schreien und sich zu wehren, dann gebe es eine reale Chance, dass der Täter die Flucht ergreife. Die Expertin schränkt allerdings ein: Diese Chance gebe es dann, wenn die Vergewaltigung draußen begangen werde,
Was die Täter betrifft, so könne sie aus den Erfahrungen ihrer langjährigen Arbeit nicht bestätigen, dass Männer aus anderen Ländern grundsätzlich gewalttätiger seien als deutsche Männer. »Gewalt gegen Frauen passiert weltweit.«

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Info
Stand der Ermittlungen
Am Sonntagmorgen um 5.15 Uhr ist eine 59-jährige Frau im Bad Nauheimer Kurpark nahe eines kleinen Brunnens hinter den Kolonnaden vergewaltigt worden. Ein Zeuge wurde auf die Schreie der Frau aufmerksam, verfolgte den mutmaßlichen Täter, bekam ihn zwischenzeitlich zu fassen, konnte ihn aber nicht festhalten. Der flüchtige Mann wird als etwa 1,85 Meter groß, mit schwarzer Lederjacke und vermutlich dunkler Mütze beschrieben. Er soll dunkelhäutig sein und die Frau auf Englisch bedroht haben. Nach Angaben von Polizei-Pressesprecherin Sylvia Frech lagen am Dienstag noch keine weiteren Hinweise zum Täter vor. Ob eine nahe der Kolonnaden angebrachte Kamera die Ermittlungen weiterbringt, bleibt abzuwarten. Die Polizei müsse schauen, ob sie in Betracht komme oder ob sie etwas aufgezeichnet haben könnte. Hinweise an die Polizei unter Tel. 0 60 31/60 10. (agl)

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VERGEWALTIGUNG IN BAD NAUHEIM

Möglichkeiten nach Vergewaltigung: Untersuchung und Spurensicherung

Im Bad Nauheimer Kurpark ist am Sonntagmorgen eine 59-jährige Frau vergewaltigt worden. Frauen, die Opfer geworden sind, können Spuren sichern lassen, die entscheidend werden können.
Früher seien Frauen nach einer Vergewaltigung oft nicht zur Ärztin oder zum Arzt gegangen, sagt Christa Mansky vom Frauennotruf Wetterau. Sie hätten Angst gehabt – davor, dass die Polizei oder die Krankenkasse eingeschaltet werde. Es seien auch Frauen abgewiesen worden, mit dem falschen Argument, sie müssten erst zur Polizei gehen. Die Konsequenz: Die Opfer waren medizinisch unversorgt, litten womöglich unter übertragbaren Geschlechtskrankheiten oder waren ungewollt schwanger.

Anonym und kostenlos behandeln lassen
Seit November 2015 sei das anders, sagt Mansky und verweist auf die medizinische Soforthilfe, bei der die Polizei auch außen vor bleiben könne. Im Bad Nauheimer Hochwaldkrankenhaus könne sich eine Frau nach einer Vergewaltigung anonymisiert und kostenlos behandeln und auf Wunsch Spuren sichern lassen. Diese Spuren werden ein Jahr lang in der Rechtsmedizin in Gießen gelagert. Opfer können sich überlegen, ob sie im Laufe dieses einen Jahres auf die Spuren zurückgreifen, um sie gegen den Täter einzusetzen. Die Ärzte würden darauf hinweisen, dass die Polizei hinzugezogen werden könne, sagt Mansky. »Die Frauen haben jetzt eine Wahlmöglichkeit. Das Entscheidende ist, dass sie nach der Vergewaltigung medizinisch behandelt werden.«
Doch wie hoch sind die Hemmungen für Opfer, über ihre Erfahrungen zu sprechen oder sich nach einer solchen Tat untersuchen zu lassen? »Die Anzeigenbereitschaft und damit öffentlich umzugehen, steigt, je fremder der Täter ist«, sagt Christa Mansky. Gerade weil die meisten Vergewaltigungen im nahen Sozialraum begangen würden, also beispielsweise vom Arbeitskollegen, vom Chef, vom Dozenten, vom besten Freund des Partners bis hin zum eigenen Partner, sei die Sache mit der Anzeige so schwierig für Opfer. »Da muss die Entscheidung, ob ich eine Anzeige mache, gut überlegt sein. Denn eine Anzeige hat große Konsequenzen. Und das kann eine Frau eigentlich nicht sofort nach einer Tat entscheiden.« Ein weiterer Punkt spreche für die Sicherung und Aufbewahrung der Spuren: Ein gewisser zeitlicher Abstand ermögliche Frauen, zu Stabilität und zu einer Entscheidung zu kommen. Eine solche Entscheidung sei viel tragfähiger für die Frauen und letztendlich für das Strafverfahren. (agl)