Genug Arbeit, zu wenig Geld. Beratungsstellen: Angebotslücke für Kinder zwischen 12 und 14 Jahren

Frauennotruf Wetterau

Seit rund 30 Jahren gibt es im Wetteraukreis zwei Vereine, die sich gegen sexualisierte Gewalt stark machen und Betroffenen vertraulich und kostenlos Hilfe anbieten: Wildwasser Wetterau e. V. in Bad Nauheim und Frauen-Notruf Wetterau e.V. in Nidda. Man kennt und schätzt sich, arbeitet in verschiedenen Netzwerken zusammen und dennoch braucht es manchmal den persönlichen Austausch. Daher fand vor kurzem ein Treffen der Mitarbeiterinnen beider Vereine in den Räumen des Frauen-Notrufs statt. Dabei stand der Austausch über die Arbeit zu sexualisierter Gewalt im Mittelpunkt.

Die Mitarbeiterinnen von Wildwasser beraten zu sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. „Zu uns in die Beratung können Mädchen kommen, die sexualisierte Gewalt akut erfahren oder erfahren haben. Wir beraten zudem auch Frauen, die in ihrer Kindheit oder Jugend entsprechendes erlebt haben“, erklärt Miriam Vermeil. „Die therapeutische Unterstützung steht hingegen auch Jungen bis zu einem Alter von 12 Jahren offen. Ziel ist es, die Kinder psychisch zu stabilisieren und das Vertrauen in sich und in andere zu stärken“, ergänzt Eva Kah, die seit diesem Jahr zum Team gehört.

Daneben zählen auch die Beratung von Angehörigen und Fachkräften, Präventionsarbeit und Fortbildungen zu dem breiten Angebotsspektrum von Wildwasser. Das zu leisten ist für die fünf Mitarbeiterinnen eine große Herausforderung. Angelica Brand meint dazu: „Arbeit gibt es genug. Leider fehlen uns die finanziellen Ressourcen für mehr Mitarbeiterinnen, so bleiben wichtige Themen auf der Strecke, das trifft besonders die Präventionsarbeit an Kindergärten und Schulen.“

Das Thema ist auch dem Frauen-Notruf nicht neu. „Auf dem Gebiet der Prävention gegen sexualisierte Gewalt ist der Wetteraukreis flächendeckend unterversorgt“, stellt Jeanette Stragies nüchtern fest. „Für diese Aufgabe bräuchte es mehr Personal und eine regelhafte Finanzierung. Das ist nicht in zwei Jahren mit einem Projekt getan, sondern daran muss kontinuierlich gearbeitet werden.“ Der Frauen-Notruf ist ebenso wie Wildwasser für den gesamten Wetteraukreis zuständig, wenn es um sexualisierte Gewalt geht. Frauen und Mädchen ab 14 Jahren können sich an die Beraterinnen wenden, wenn sie Gewalt erlebt haben, erleben oder sich davon bedroht fühlen. „Daneben sind wir auch für den Bereich der körperlichen und psychischen Gewalt zuständig. Auch bei uns gibt es keine zeitliche Begrenzung der Beratung und Unterstützung. Jeder Fall wird individuell begleitet, so lange dies nötig ist“, erläutert Christa Mansky.

Im Vergleich der Beratungsangebote wird schnell deutlich, dass es eine Angebotslücke für Kinder zwischen 12 und 14 Jahren gibt. In diesem Alter sind die meisten Teenager bereits in sozialen Medien wie TikTok, Snapchat und Instagram unterwegs und beginnen eventuell auch ihre erste Liebesbeziehung. Die Beraterinnen wissen, dass dort Gefahren liegen, sei es im digitalen Raum durch Cyber-Grooming oder durch sexuelle Übergriffe in der ersten Beziehung. Alle sind sich einig, dass Präventionsangebote an Schulen und in Freizeiteinrichtungen sowie für Eltern und Fachkräfte wichtig wären, um Übergriffe zu verhindern und für die Gefahren zu sensibilisieren.

Die Mitarbeiterinnen von Wildwasser machen immer wieder die Erfahrung, dass sich die Schulen, an denen sie Workshops und Fortbildungen durchgeführt haben, auch im Nachhinein vermehrt melden, um sich Beratung einzuholen. Dieses Bewusstsein, wo und wie man sich Hilfe holen kann, wünschen sie sich für alle Kinder- und Jugendeinrichtungen. „Öffentlichkeitsarbeit ist daher auch ein wichtiges Instrument, das wir stärker nutzen möchten. Wenn Betroffene oder Angehörige schon einmal von uns gehört haben und unsere Arbeit kennen, ist die Hemmschwelle zum Handy zu greifen schon etwas niedriger“, ist sich Anne Hantschel vom Frauen-Notruf sicher.

Für die Zukunft wollen sich beide Fachberatungsstellen noch enger austauschen und im Bereich der Prävention zusammenarbeiten, um für den Wetteraukreis eine bestmögliche Beratungs- und Unterstützungsstruktur zu gewährleisten.

Kreis-Anzeiger, 13.11.2021