Aktionstag in Büdingen gegen Gewalt an Frauen: Frauen-Notruf und Bäckerei Naumann kooperieren

Frauennotruf Wetterau

Anne Hantschel vom Frauen-Notruf Wetterau und Bea Schmidt von der Bäckerei Naumann sprechen über die Facetten der Gewalt an Frauen, die Verantwortung von Unternehmen und eine geplante Aktion in Büdingen.

Die »Orange Days« machen jährlich vom 25. November bis zum 10. Dezember auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Startschuss ist der internationale Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen, den Abschluss bildet der Tag der Menschenrechte. Gewalt an Frauen und Mädchen ist eine der weltweit am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen.

Der Aktionstag geht auf die Ermordung der drei dominikanischen Schwestern Mirabal zurück. Der Diktator Trujillo ließ die Regimegegnerinnen 1960 misshandeln und umbringen. 1981 riefen lateinamerikanische Aktivistinnen den 25. November als Gedenktag gegen Gewalt an Frauen aus, die Vereinten Nationen erkannten ihn 1999 als internationalen Gedenktag an.

Warum das eigene Zuhause für manche Frauen der gefährlichste Ort ist und weshalb häusliche Gewalt alle Menschen angeht, darüber sprechen Anne Hantschel vom Frauen-Notruf Wetterau und Bea Schmidt von der Bäckerei Naumann.

Am 25. November beginnen die »Orange Days«. Was hat es damit auf sich?

Hantschel: Das ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Die »Orange Days« finden weltweit statt und wurden von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Die Farbe steht als Symbol für ein gewaltfreies Leben für Frauen und Mädchen. Am 25. November finden verschiedene Aktionen statt, um das Umfeld zu sensibilisieren, die Öffentlichkeit zu informieren und der Betroffenen – etwa von Femiziden – zu gedenken. Auch in der Wetterau wird dieser Tag seit Jahren entsprechend gestaltet.

Der Frauen-Notruf Wetterau plant gemeinsam mit der Bäckerei Naumann unterschiedliche Aktionen. Was soll stattfinden?

Schmidt: In der Büdinger Filiale »Cafézeit« findet eine Informationsveranstaltung rund um das Thema statt, die von einem Stand abgerundet wird. Zusätzlich erhalten Kundinnen und Kunden orangefarben gestaltetes Gebäck sowie Give-aways mit Infos zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen und Hinweisen zur Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit.

Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?

Hantschel: Hintergrundgedanke war, dass ein Informationsstand wie etwa auf dem Marktplatz in Nidda mit unserem Team von sechs Personen nur wenige Menschen erreicht. Oft kommen Menschen zu uns an den Stand, die ohnehin schon mit dem Thema in Berührung gekommen sind. Meine Kollegin Monika Scheddel-Pfaff und ich hatten dann die Idee, über die Bäckerei Naumann mit ihren vielen Filialen das Thema in eine breitere Öffentlichkeit zu bringen.

Schmidt: Als Bäckerei mit vielen weiblichen Verkaufskräften machen wir uns seit drei Jahren dafür stark, den Weltfrauentag zu feiern und auf wichtige Themen aufmerksam zu machen. Das tun wir, weil wir in der Vergangenheit bei unseren Mitarbeiterinnen bemerkt haben, dass Gewalt gegen sie angewendet wurde. Diese Frauen wandten sich an uns, weil sie längere Zeit nicht zur Arbeit kommen konnten oder ihre Partner ihnen bis zur Arbeitsstelle nachstellten. Startschuss war ein Vortrag des Frauen-Notrufs über häusliche Gewalt in der Zentrale der Bäckerei in Kefenrod am diesjährigen Weltfrauentag.

Die Aktion findet in Büdingen statt. Warum ist die Entscheidung auf den Ostkreis der Wetterau gefallen?

Hantschel: Im Westkreis finden in den großen Städten wie Friedberg und Bad Nauheim eher Aktionen statt. Der Ostkreis wird oft vernachlässigt. Insofern wollen wir auch diese Region für unsere Themen sensibilisieren. Im Ostkreis sind wir zudem die einzige Fachberatungsstelle für Frauen, Mädchen und Trans bei Gewalt, wir möchten daher auch hier Präsenz zeigen.

Was ist das Ziel des Frauen-Notrufs?

Hantschel: Wir sind eine Interventions- und Beratungsstelle für Frauen, Mädchen und Trans ab 16 Jahren, die in der Vergangenheit Gewalt erlebt haben oder akut davon bedroht sind. Die Klientinnen erzählen das, worüber sie sprechen möchten, und wir zeigen Wege aus der Gewalt auf. Dabei geben wir keinen bestimmten Pfad vor, sondern weisen auf Alternativen hin. Der Frauen-Notruf berät und unterstützt. In der Praxis kann das heißen, die Klientin darüber aufzuklären, was bei einer Strafanzeige auf sie zukommt, und die Frau zu einem Anwaltstermin zu begleiten.

Welche Formen der Gewalt gegen Frauen gibt es?

Hantschel: Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Aus den Medien kennt man eher die gewaltintensiven Geschichten. Über diese harten Fälle sagen viele Unbeteiligte: Wenn mich mein Partner einmal schlägt, bin ich weg. Aber es fängt meist nicht damit an, dass der Mann plötzlich zuschlägt. Eine gewaltvolle Beziehung ist oft ein schleichender Prozess, der mit psychischer Gewalt beginnt. Die Frau wird isoliert und kritisiert. Psychische Gewalt wird oft unterschätzt und kann ein Einstieg in die körperliche Gewalt sein. Häusliche Gewalt in Beziehungen oder Ex-Beziehungen ist ein großes Thema in der Beratungsarbeit. Es gibt auch sexualisierte Gewalt, die oft ein Teil von häuslicher Gewalt ist. Ein wichtiges Thema sind auch K.o.-Tropfen, die entgegen dem Klischee auch auf Familien- oder Firmenfeiern verabreicht werden und nicht nur in der Bar- und Clubszene. Auch verbale Gewalt existiert, etwa Bedrohungen und Beschimpfungen. Schließlich findet immer mehr digitale Gewalt statt, bei der ein Täter zum Beispiel auf Google-Standorte oder Instagram-Kontakte zugreift.

Kommen Gewalttäter meistens aus dem vertrauten Umfeld oder handelt es sich bei diesen Männern auch um Unbekannte?

Hantschel: Häusliche Gewalt ist die verbreitetste Gewalt an Frauen. Diese beschränkt sich nicht auf das eigene Zuhause, sondern kann auch im öffentlichen Raum durch (Ex-)Partner oder Familienangehörige geschehen. Der Fremde, der im Park hinter einer Ecke lauert, ist ein weitverbreiteter Mythos. In Wahrheit ist auch bei sexualisierter Gewalt wie beispielsweise einer Vergewaltigung das eigene Zuhause der gefährlichste Ort. Häusliche Gewalt hat auch nichts mit Bildung oder der sozialen Schicht der Täter und Betroffenen zu tun. Zu uns kommen Frauen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Und es handelt sich nicht um Einzelfälle.

Warum bleiben manche Frauen bei ihrem gewaltbereiten Partner?

Hantschel: Häufig wird die Frau in einem schleichenden Prozess mehr und mehr abgeschottet. Irgendwann hat sie keine Ansprechpersonen mehr. Oft kommen noch Drohungen dazu. Das fängt bei Selbstmorddrohungen an und geht bis hin zu Morddrohungen und der Drohung, die gemeinsamen Kinder wegzunehmen. Hinzukommen Schamgefühle. Wenn die Frau mit einem Mann verheiratet ist, der ein hohes Amt innehat, oder wenn sie selbst über einen hohen gesellschaftlichen Statuts verfügt, ist das öffentliche Eingeständnis, Gewalt erfahren zu haben, häufig besonders schwierig.

Schmidt: In unserem Unternehmen arbeiten viele Mütter in Teilzeit, die sich ihr Leben alleine nicht leisten können. Daraus resultiert eine finanzielle Abhängigkeit, wodurch sich die betroffenen Frauen schwerer aus einer Gewaltbeziehung lösen können.

Der Frauen-Notruf berät Frauen im Kreis seit über 35 Jahren. Beobachten Sie sinkende oder steigende Zahlen bei Gewalttaten gegenüber Frauen?

Hantschel: Während der Corona-Pandemie war es erst ganz still – und dann sind die Zahlen stark nach oben gegangen. Im Moment verzeichnen wir – im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie – steigende Beratungszahlen. Wir gehen aber davon aus, dass die Gewalt immer schon da war und der gesellschaftliche Wandel dazu beigetragen hat, dass sich Frauen eher Hilfe suchen.

Laut UN Women Deutschland ist geschlechtsspezifische Gewalt kein »Frauenproblem«, sondern ein wichtiges Thema für Menschen aller Geschlechter. Was bedeutet das?

Hantschel: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, gegen Gewalt an Frauen, Mädchen und Trans anzutreten. Was hilft es uns, wenn wir alle Frauen dafür sensibilisieren und aufklären, aber sich die andere Hälfte der Bevölkerung kein Stück verändert? Hinzu kommt, dass gerade in den entscheidenden Institutionen und Positionen, die gesellschaftlich etwas verändern können, überwiegend Männer sitzen. Wir brauchen auch die Männer auf unserer Seite.

Schmidt: In den sozialen Medien nehme ich wahr, dass sich vor allem junge männliche Millennials für Frauenthemen einsetzen. In unserem Unternehmen, das fast ein reiner Frauenbetrieb ist, versuchen wir, dass sich Frauen untereinander stärken und füreinander da sind. Mit dem Frauen-Notruf Wetterau wird es einen Workshop geben, in dem Methoden dargelegt werden, wie ein Unternehmen mit Gewaltfällen gegen Frauen umgeht. Mit seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen verbringt man unfassbar viel Zeit und bemerkt Wesensveränderungen vielleicht noch eher als die eigene Familie. Wir als Unternehmen sehen uns dabei in der Verantwortung.

Anne Hantschel (37) studierte Sozialwissenschaften und ist für die Öffentlichkeitsarbeit und einen Teil der Geschäftsführung beim Frauen-Notruf Wetterau in Nidda zuständig. Er berät und unterstützt Frauen, Mädchen und Trans, die von Gewalt betroffen sind. Gemeinsam werden Lebensperspektiven entwickelt, Wege aus der Gewalt gefunden und Bewältigungsstrategien für erlebte Gewalt entwickelt. Außerdem informiert der Frauen-Notruf die Öffentlichkeit und Fachkräfte über Gewalt gegen Frauen und Kinder und sensibilisiert für diese spezifische Problematik. Des Weiteren sollen strukturelle Veränderungen herbeigeführt werden, damit von Gewalt betroffene Frauen, Mädchen und Trans notwendige Hilfen und ihnen zustehende Rechte effektiv und auch zeitnah bekommen.

Bea Schmidt (29) studierte Germanistik und Medienwissenschaft und ist für Social Media und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bäckerei Naumann zuständig. Am 25. November wird anlässlich der »Orange Days« in allen Filialen der Bäckerei Naumann im Wetteraukreis orangefarbenes Gebäck verkauft, sorgfältig eingebettet in gut platzierte Informationen zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen und in eine gute Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit. Außerdem wird es von 10 bis 14 Uhr einen Info- und Meetingpoint mit dem Frauen-Notruf Wetterau und der Opferschutzkoordinatorin der Polizeidirektion Wetterau, Judith Pollesch, in der »Cafézeit« der Bäckerei Naumann in Büdingen geben. Neben Bürgermeister Benjamin Harris sind Vertreterinnen des Bezirkslandfrauenvereins Nidda vor Ort.

Foto von links: Anne Hantschel, Bea Schmidt
Kreis-Anzeiger online, vom Anja Carina Stevens, 01.11.2023