Nach Fall in der Wetterau. Frauennotruf Wetterau über Vergewaltigungen: „Es gibt keine Frau, die nicht Angst hat“

Frauennotruf Wetterau

Wetterauer Zeitung, 24.08.2021, von Petra Ihm-Fahle

Die meisten Vergewaltigungen passieren in den eigenen vier Wänden. Den Partner oder eine andere nahestehende Person anzuzeigen, fällt den Opfern oft schwer. Diese Erfahrung hat Christa Mansky vom Frauennotruf Wetterau gemacht.
Bad Nauheim – Eine Frau ist allein im Dunkeln unterwegs, wird überfallen und von einem Unbekannten vergewaltigt. »Wer solche Orte meidet, ist sicher.« Zu derlei Gedanken können Unbeteiligte kommen, wenn sie diesbezügliche Medienberichte lesen. Vielleicht denken sie auch: »Wer weiß, wie sie gekleidet war?« Oder: »Vor allem junge Frauen werden Opfer.« Das sind allerdings »Vergewaltigungsmythen«. Statistisch gesehen sind laut dem Frauennotruf Wetterau alle Frauen betroffen: unabhängig von Alter, Aussehen, sozialem Status oder einer Behinderung. Die meisten Vergewaltigungen geschehen in den eigenen vier Wänden, wie Statistiken belegen.
»Wir sprechen vom sozialen Umfeld. Das kann der Partner sein, ein guter Freund, der Arbeitgeber, ein Mitarbeiter oder der Uni-Dozent. Die meisten Betroffenen kennen ihren Vergewaltiger«, sagt Christa Mansky, Leiterin des Frauennotrufs. Für die Situation von Frauen will die Einrichtung die Bevölkerung nun noch stärker sensibilisieren. Ziel ist, zu zeigen, was das Leben von Frauen auch ausmacht. Mansky: »Es gibt keine Frau, die nicht Angst hat. Die sich nicht vorbereitet, wenn sie abends rausgeht. Sie hat ein Pfefferspray in der Tasche, das Handy griffbereit, sagt ›Ich melde mich, wenn ich ankomme‹.« Die potenzielle Gewalt für Frauen sei alltäglich. »Das macht natürlich was mit uns«, konstatiert Mansky.
Wetterauer Frauennotruf will „Vergewaltigungsmythen“ aufdecken
Weiterer Punkt sei, die »Vergewaltigungsmythen« aufzudecken, denn auch Polizei und Justiz hätten sie im Kopf. »Es ist uns wichtig, Veränderung und Aufklärung zu schaffen. Viele Frauen kommen zu uns und sind sich unsicher: ›Bin ich wirklich vergewaltigt worden? Oder war es nur schlechter Sex?‹« Denn auch sie gingen vom Skript des einsamen Orts und des Fremdtäters aus. Die wenigsten Vergewaltigungen kommen laut Mansky vor Gericht. Je weniger die Tat diesem Skript entspreche, desto weniger werde verurteilt.
Friedberg, Elvis-Platz. Ein großes Bett von Bettenhaus Decher steht auf dem Platz. Vorbeigehende wundern sich nur so lange, bis ihnen Christa Mansky, ihre Kollegin Jeanette Stragies und Georgette Storbeck (Soroptimist Club Bad Nauheim) Faltblätter in die Hand drücken. Darin sind Infos enthalten, unter anderem, welche Möglichkeiten der Spurensicherung es gibt. Viele Betroffene sind sich laut Mansky unsicher, ob sie eine Vergewaltigung anzeigen sollen. »Frauen scheuen häufig davor zurück, wenn der Täter aus dem nahen sozialen Umfeld ist. Denn sie können es nicht mehr zurücknehmen, da das Ermittlungsverfahren in Gang gesetzt ist.« Was nicht alle wissen: Sie können die Spuren auch ohne Anzeige sichern, aufbewahren lassen und sich später entscheiden. Die Sicherung sollte aber nach fachlichem Standard erfolgen, damit die Beweislage im Falle eines Falles ausreicht. Zum Frauenarzt zu gehen, reicht laut Mansky in der Regel nicht.
Vor fünf Jahren hat der Frauennotruf in Kooperation mit anderen Beteiligten eine medizinische Soforthilfe am Hochwaldkrankenhaus in Bad Nauheim eingerichtet. Seither liegen dort spezielle Spurensicherungs-Kits vor, zudem hat der Frauennotruf Schulungen für die Ärzte und das medizinische Personal organisiert. Wollen Betroffene nicht zur Polizei, können sie die Klinik eigenständig aufsuchen. »Es ist kostenfrei für die Frauen, auch für vergewaltigte Männer.«
Häusliche Gewalt: Auch Vertrauen wird missbraucht
Je näher die Frau dem Täter steht, desto schlimmer erlebt sie laut Mansky den Übergriff. »Zum eigenen Partner hat sie ein Vertrauen – und das wird missbraucht. Ihr Nichtwollen wird übergangen und der Täter setzt sich durch.« Wie Mansky schildert, war die Zahl der Beratungsfälle pandemiebedingt letztes Jahr niedriger als sonst. Seit Anfang dieses Jahres seien die Beratungszahlen explodiert: zu häuslicher und sexueller Gewalt, Stalking und Zwangsheirat etwa. »So viele Beratungen hatten wir vorher noch nicht«, sagt sie.
Angesiedelt ist der Frauennotruf in Nidda. Ein Plakat hängt dort an der Tür: »Kein Grund, sich zu schämen, sondern sich helfen zu lassen. Jede Vergewaltigung ist ein medizinischer Notfall. Im Krankenhaus erhalten Sie Hilfe. Vertraulich.«
Anzeige nach Vergewaltigung: Was mit den gesicherten Spuren passiert
Wird bei einer Vergewaltigung direkt Anzeige erstattet, kommt es im Wetteraukreis zu einer Spurensicherung im Bad Nauheimer Hochwaldkrankenhaus (HWK) im Auftrag der Polizei. Sofern betroffene Frauen nicht zur Polizei gehen wollen, könnten sie die Klinik auch eigenständig aufsuchen. »Es ist kostenfrei für die Frauen. Auch vergewaltigte Männer können sich untersuchen und die Spuren sichern lassen«, erklärt Christa Mansky. Leiterin des Frauennotrufs Wetterau. Die gesicherten Spuren übergibt das HWK der Polizei, sofern es ein Auftrag der Ordnungshüter ist. »Wird es im Eigenauftrag der Frau gemacht, bringt ein Kurier die Spuren zur Rechtsmedizin nach Gießen. Dort werden sie ein Jahr aufbewahrt.« Ein Jahr haben die Betroffenen die Möglichkeit, sich zu informieren, beraten zu lassen und zu stabilisieren. »Entscheiden sie sich für eine Anzeige innerhalb des Jahres, werden die Spuren ausgewertet und der Polizei übergeben für das weitere Ermittlungsverfahren. Und wenn nicht, werden die Spuren vernichtet.« ihm