Häusliche Gewalt ist ein großes Thema im Wetteraukreis

Frauennotruf Wetterau

Geschlagen, vergewaltigt, belästigt – seit 30 Jahren schütten Frauen ihr Herz beim Frauen-Notruf Wetterau aus. Beraterin Christa Mansky spricht über häusliche Gewalt, Ehrenmorde und Tätertraining.
Der Frauen-Notruf mit Sitz in Nidda kümmert sich seit 30 Jahren um Frauen, die körperliche, sexualisierte oder seelische Gewalt erleben mussten. Christa Mansky (58) arbeitet ist Soziologin und arbeitet seit fast 20 Jahren als Beraterin beim Frauen-Notruf.
Melden sich heute mehr Frauen wegen gewalttätigen Übergriffen als vor 30 Jahren?
Christa Mansky: Ja. Die Hürde, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, ist für viele Frauen hoch. Wir versuchen heute mehr als früher, den Frauen den Zugang zu uns zu erleichtern. Vielen Stellen vermitteln den Kontakt uns, etwa die Polizei, das Hochwald-Krankenhaus, die Lebenshilfe, die Flüchtlingshilfe oder das Job-Center – sofern die Frauen eine Beratung wünschen.
Suchen Frauen heute mit anderen Problemen Hilfe beim Frauen-Notruf als früher?
Mansky: Neue Themen sind zum Beispiel Zwangsverheiratung und sogenannter Ehrenmord. Auch Vergewaltigungen nach K.o.-Tropfen sind in den letzten Jahren häufiger gemeldet worden. Das gab es früher wahrscheinlich auch, aber noch kein so großes Bewusstsein dafür.
Wer hat den Frauen-Notruf 1988 gegründet und warum?
Mansky: Das waren politisch engagierte Frauen, aber auch Betroffene. Es gab damals weder Büro- noch Beratungsräume und nur eine halbe Stelle. Die meisten Frauen haben daher ehrenamtlich gearbeitet, Beratungsgespräche zu Hause geführt und sogar ihre Privatnummern rausgegeben. Der Frauen-Notruf war anfangs nicht sehr willkommen unter den lokalen Politikern. Es hieß, Gewalt gegen Frauen gebe es nur in Frankfurt, Berlin und Co., aber nicht in der Wetterau.
Aber es gab auch in der Wetterau Übergriffe auf Frauen?
Mansky: Ja. Vor allem häusliche Gewalt spielte eine sehr große Rolle. Der Frankfurter Notruf beriet dagegen vorwiegend nach Vergewaltigung und sexueller Nötigung.
Ist häusliche Gewalt noch Dauerbrenner?
Mansky: Ja. Nach wie vor ist Gewalt in der Beziehung oder Ehe ist ein großes Thema im Wetteraukreis. Das sind sogar die meisten Anfragen.
Was raten Sie Frauen, die von ihrem Partner geschlagen oder vergewaltigt werden?
Mansky: Raus aus der Beziehung ist aus meiner Sicht der sicherste Weg. Für Frauen mit einem gewalttätigen Mann kann es sehr gefährlich sein, über Veränderung oder gar eine Trennung nachzudenken. Das gilt oft auch für ihre Kinder. Wenn sie in ein Frauenhaus gehen, sind sie erst einmal in Sicherheit. Die meisten Frauen, die zu uns kommen, wollen das aber nicht.
Was dann? Weiter mit dem Täter leben?
Mansky: Einige Frauen hoffen, dass ihre Männer sich ändern. Wir versuchen dann ein individuelles Konzept zu entwickeln, bei dem ihre Sicherheit und die der Kinder im Vordergrund steht. Manche Frauen können ihren Mann überzeugen, an einem Tätertraining teilzunehmen, zum Beispiel bei Pro Familia in Gießen. Darin sollen die Männer lernen, ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen.
Nehmen Sie die Erzählungen über Vergewaltigung und Gewalt gedanklich mit nach Hause?
Mansky: Es ist schwer, das nicht zu tun. Unsere Beratung basiert auf Empathie. Damit laufen wir als Beraterinnen Gefahr, sekundär traumatisiert zu werden. Belastende Fälle besprechen wir unter Kolleginnen. Um gesund zu bleiben, ist es aber auch wichtig, Selbstfürsorge zu betreiben. Ich versuche, positive Erlebnisse bewusst wahrzunehmen. Yoga und Musik helfen mir dabei.
Sind Sie oder Kolleginnen schon selbst bedroht worden, etwa von Männer der hilfesuchenden Frauen?
Mansky: In den ersten Jahren kam das öfter vor. Da klagten die Mitarbeiterinnen schon mal über zerkratzten Autolack oder zerstochene Reifen. Solche Anfeindungen haben abgenommen und kommen in den letzten Jahren nicht mehr vor. Wahrscheinlich, weil wir mittlerweile gesellschaftlich anerkannt sind und mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten zusammenarbeiten.
Seit neuestem können sich Frauen über einen anonymen Chat online melden. Wie läuft das?
Mansky: Die Online-Beratung haben wir vor wenigen Wochen freigeschaltet, und sie läuft gerade erst an. Anders als bei Anfragen per E-Mail oder Facebook können Frauen über unsere Seite anonym Kontakt aufnehmen. Dank technischer Kniffe kann man nicht nachverfolgen, dass unsere Seite aufgerufen wurde, und die Frau kann im Notfall mit einem Klick die Konversation löschen. So wollen wir sie besser schützen und die jüngere Generation erreichen.
Welche Projekte haben Sie sich noch vorgenommen?
Mansky: Im nächsten Jahr soll es einen inklusiven Fachtag zum Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen geben. Außerdem wollen wir die medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung weiter bekanntmachen, die es seit 2015 im Hochwald-Krankenhaus gibt. Eines unserer Vorhaben ist es auch, geflüchtete Frauen gezielter anzusprechen, zum Beispiel mit mehrsprachigen Flyern.
Werfen Sie einen Blick in die Zukunft. Wird die Wetterau den Frauen-Notruf in 30 Jahren noch brauchen?
Mansky: Leider ja. In der Frauenbewegung haben wir anfangs geglaubt, wir könnten die Gewalt gegen Frauen irgendwann abschaffen. Das ist eine schöne Idee, aber nach meinen bisherigen Erfahrungen halte ich das für unrealistisch. Kaum etwas ist weltweit so etabliert und institutionalisiert wie die Gewalt gegen Frauen – auch im hochzivilisierten Deutschland und in der Wetterau.
Was müsste geschehen, damit die Gewalt gegen Frauen aufhört?
Mansky: Voraussetzung dafür wäre es, die Geschlechterhierarchie abzuschaffen. Nach wie vor wachsen Jungen privilegiert auf, und Männer haben einen höheren Status als Frauen. Wenn Männer Gewalt gegen Frauen ausüben, hat das oft keine Konsequenzen. Von 1000 Vergewaltigungen kommen vielleicht fünf vor Gericht, und davon werden drei Täter verurteilt. Da muss sich etwas ändern – nicht nur gesetzlich, sondern auch gesellschaftlich.
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Info
Frauen-Notruf in Zahlen:
283 Frauen haben im vergangenen Jahr nach gewalttätigen Übergriffen Hilfe beim Frauen-Notruf gesucht.
6 Frauen engagieren sich für die Beratungsstelle; drei davon sind in Teilzeit angestellt, drei ehrenamtlich im Vorstand.
1988 ist der Frauen-Notruf Wetterau gegründet worden.
17 Frauen haben sich 2017 nach Vergewaltigung in der Wetterau medizinisch versorgen lassen. Die meisten waren jünger als 20 Jahre. Der Frauen-Notruf koordiniert die medizinische Soforthilfe.
51 Prozent der Gelder für den Notruf kamen 2017 vom Wetteraukreis, 41 Prozent vom Land, acht Prozent von Kommunen.


Kaum etwas ist weltweit so etabliert und institutionalisiert wie die Gewalt gegen Frauen
Christa Mansky, Frauen-Notruf Wetterau


Der Frauen-Notruf war anfangs nicht sehr willkommen unter den lokalen Politikern
Christa Mansky, Frauen-Notruf Wetterau

(Wetterauer Zeitung, 22.09.2018, von Eva Diehl)